Szilard Huszank
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    SZILARD HUSZANK: “THEATER-BILDER”
    
    Vernissagenrede von Dr. Harald Tesan
    
    gehalten am 18. Mai 2008 im Opernhaus Nürnberg
    
    
    Meine sehr geehrten Damen und Herren,
    die Ungarn sind los in Franken … und keiner wird sie mehr aufhalten können!
    Nachdem vor kurzem drei ungarische Künstler in den öffentlichen Galerien
    Erlangens zu sehen waren, freue ich mich besonders, Sie in Nürnberg zu einer
    Ausstellung von Szilard Huszank begrüßen zu dürfen. Ein Vor- und ein Nachname,
    an den man sich erst gewöhnen muss, ihn aber dann nicht mehr vergessen sollte.
    
    
    Der Maler Szilard Huszank scheint es recht gut zu meinen mit seinem Publikum.
    In die Wandelgänge des Nürnberger Opernhauses hängt er “Theaterbilder”. Nun,
    das ist ja nahe liegend und man kann sich das alles gut vorstellen: Die
    routinierte Abonnementbesitzerin wird sich darüber freuen, wenn sie bekannte
    Szenen aus Operetten von Franz Lehár oder Figuren aus Mozart-Opern in den
    Gemälden wiederfindet. Der eher schüchterne Theatergänger, der nicht so recht
    weiß, wohin er sich in der Pause hintun soll, wird dankbar seinen Blick in den
    Bildern verstecken. Alle sehe ich sie schon mit ihrem Sektglas auf und ab
    flanieren und jedes Bild wohlwollend abnicken.
    
    Aber, liebe Kunstfreunde, vielleicht sollten wir es uns doch nicht so einfach
    machen. Mir zumindest widerstrebt es, wenn mir das Fell gar so angenehm mit dem
    Strich gebürstet wird. Es widerstrebt mir wohlgemerkt nicht im wirklichen Leben,
    wo ich mir solche Streicheleinheiten gerne gefallen lasse. Aber wie steht es
    denn dann um die Kunst? Trägt sie hier Eulen nach Athen? - Wie ich erfuhr,
    veranstaltet eine große Nürnberger Zeitung ein Quiz, bei dem man erraten muss,
    welche Szenen auf den Bildern Huszanks eigentlich dargestellt sind. Ein
    löbliches Unterfangen, rechnet es doch mit einer inzwischen aussterbenden
    Spezies: dem Bildungsbürger. Also jenes nach wie vor um Abgrenzung nach unten
    bemühte elitäre Häufchen, das seine Existenz der Aufklärung und der
    Französischen Revolution verdankt.
    
    Die subventionierten Theater, Opernhäuser und Museen gehören von jeher zu den
    Refugien dieser schützenswerten Individuen. Soweit so gut. Aber leben wir
    mittlerweile nicht insgesamt wieder in einer fürchterlich restaurativen Zeit?
    Verlachen wir - 40 Jahre nach 68 - nicht schon längst Adorno und seine
    geistigen Jünger? - Vielleicht triumphieren ja die ausgelassenen
    Eventkonsumenten zu Recht über die verstaubten Kulturkonservativen. Und
    vielleicht hat sogar der Zyniker Boris Groys recht: Vielleicht ist das frei
    bestimmte Individuum wirklich inzwischen müde und will sich nur noch ausruhen.
    Vielleicht ist es seine Sisyphusarbeit leid, eine beunruhigend schwarze oder
    weiße Leere, das schon von Baudelaire gepriesene “Nichts”, ständig von neuem
    mit eigener Vorstellungskraft auffüllen zu müssen. Nach dem prognostizierten
    Scheitern der Sozialutopien, wie sie die Kunst der Abstraktion begleiteten,
    nach der Ernüchterung über Malewitsch, Bauhaus und Co scheinen die lesbaren,
    gegenstandsbezogenen Bilder der so genannten Leipziger Schule gerade recht zu
    kommen.
    
    Wie aber sind die hier gezeigten Bilder zu lesen? - Zunächst einmal verdanken
    sie ihre Entstehung, wie so viele Motive in der Malerei Huszanks, einem simplen
    biographischen Umstand. Denn der Maler kennt die Bretter, die angeblich die Welt
    bedeuten, aus eigener Erfahrung. Oft genug stand er als Statist auf der Bühne
    des Nürnberger Opernhauses. So z. B. war er einer der drei weißen Bären in dem
    Stück Hänsel und Gretel, zu dem Peter Angermann die Kulissen entwarf. Szilard
    hat sich diesen kleinen autobiographischen Seitenhieb nicht verkneifen können.
    Deshalb hat er ein Capriccio mit phantastischen Motiven seines Lehrers an der
    Nürnberger Akademie unter die Theaterbilder geschmuggelt.
    
    Während seiner Zeit am Nürnberger Opernhaus reifte bei Huszank die Idee für den
    ausgestellten Zyklus. Den meisten Bildern ist die Bühnensituation gleich
    anzumerken. Es sind eben Stills aus ganz konkreten Inszenierungen, die der
    Künstler zunächst fotografisch festgehalten hat. In den gemalten Theaterbildern
    erweist sich Huszank als unermüdlicher Beobachter des Lichtes und seiner
    Modellierungen. Groß ist die Versuchung, angesichts einer bravourösen
    Maltechnik der reinen delectatio zu verfallen, will meinen: sich schlicht an
    der Schönheit der Malerei als solcher zu ergötzen. Einen solch sinnlich-naiven
    Zugang zur Kunst Szilard Huszanks fände ich gar nicht einmal am schlechtesten.
    Immerhin versteht es der Maler wie nur wenige seines Faches, Stofflichkeiten zu
    evozieren, ohne eine überanstrengte Technik bemühen zu müssen. Die einzelnen
    Bildpartien sind rasch und alla prima durchgearbeitet.
    
    Bei all dem suggerierten Realismus bleibt der Ungar zuvorderst Maler. Anders
    als etwa die Hyperrealisten der 70er Jahre oder schon die detailverliebten
    Surrealisten, ist Huszank wieder um die subjektive malerische Geste bemüht.
    Diese malerische Geste kommt bei ihm erfreulich unspektakulär daher. Die
    Lässigkeit des Farbauftrages verrät das Studium der lange Zeit geschmähten
    Salonmaler des 19. Jahrhunderts. Wie viel die Impressionisten diesen oft als
    schwülstig abgetanen Malern verdanken, wurde erst erkannt, als sich die Moderne
    von ihren eigen Dogmen befreien und als so genannte Postmoderne eine
    Wiederauferstehung feiern konnte. Seitdem wissen wir, dass der Pinselduktus
    eines Realisten demjenigen eines informellen Kollegen nicht nachstehen muss.
    Vielmehr genießen wir die Oszillation unseres Blickes zwischen den
    verschiedenen Formen der Bildwahrnehmung. Wir können frei entscheiden, welcher
    Betrachtungsweise wir den momentanen Vorzug geben: ob wir primär die gemalten
    Gegenstände in ihrem situativen Zusammenhang verstehen, oder ob wir das Bild
    als ein kompositorisches Zusammenspiel von Farbflecken auffassen wollen.
    
    Eine vergleichbare Nonchalance begegnet im Inhaltlichen. Es fällt auf, dass
    Huszank das deklamatorische Theaterpathos meidet. Es sind eher die leisen
    Momente, an denen er interessiert ist. Überhaupt scheint den meisten seiner
    Akteure eine entspannte Ruhe zu eignen. Vielfach ist den Dargestellten ihre
    Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Es ist paradox: Auf der Bühne, wo sie
    ständig allen Blicken ausgeliefert sind, ausgerechnet dort finden die
    Schauspieler Erholungsphasen. Sie gönnen sich das, was wir als Publikum auch
    meistens tun während einer Theateraufführung oder einer zu langen
    Vernissagenrede: sich ausruhen und abschalten. Was die
    Aufmerksamkeitspsychologie schon längst wusste, hat die neueste Hirnforschung
    bestätigt. Die meiste Zeit unseres Lebens, über 95 %, verbringen wir in einer
    Art unbewusstem Dämmerzustand. Szilard Huszank führt es uns vor die schläfrigen
    Augen: wir sind lebende Zombies.
    
    Zugleich herrscht in seinen wohlausgewogenen Kompositionen eine Ruhe, die sich
    auf den Betrachter übertragen soll. Lassen wir uns länger auf eine einzelne
    Szene ein, beginnen wir uns zu fragen, wer wohl der Mensch hinter der
    Verkleidung des Akteurs sein mag. Und wir überlegen uns, wie der Schauspieler
    die Situation empfinden mag, in der er sich gerade befindet. Wir beginnen uns
    für den Menschen hinter der Maske zu interessieren. So lässt den Maler der
    Inhalt der einzelnen Opern völlig kalt. Dieser ist ohnehin immer gleich und
    deswegen zutiefst langweilig. Statt am Stoff, ist Huszank an formalen Lösungen
    interessiert. Die Theaterbilder sind ihm nur Vorwand, seine
    Ausdrucksmöglichkeiten zu erkunden; Die Künstlichkeit der Theaterwelt als
    Metapher für die Kunst. Wie gesagt: Das Individuelle hinter dem Austauschbaren
    wird spürbar. Auch wenn Huszank die Personen im szenischen Zusammenhang zeigt,
    ist ihnen ihre existenzielle Vereinsamung anzumerken. Zugleich findet das
    Eindringen in die tiefere Befindlichkeit der Protagonisten - ein Wesenszug, den
    die Malerei insbesondere seit dem Barock kultiviert hat - bei Huszank in kleinen
    Dosen statt.
    
    Man sollte die Theaterbilder Huszanks unbedingt eingebettet sehen in sein
    gesamtes Oeuvre. Von dem vermittelt der ausliegende Katalog immerhin einen
    Eindruck. Dann nämlich wird einiges klarer. Unser Maler gehört einer jüngeren
    Generation von Künstlern an, die im Realismus keine rückwärtsgewandte
    Kunstrichtung mehr erkennen. Mit den historischen Protagonisten der
    sozialistischen Kulturrevolution kokettiert der Ungar dennoch zitathaft. Immer
    wieder tauchen Mao-Porträts in seinen Arrangements auf.  Doch der Künstler
    bleibt der uneingeschränkte Herrscher: Indem Huszank die politischen Ikonen
    seinen malerischen Zwecken unterwirft, signalisiert er, dass sich sein
    Realismus nicht politisch instrumentalisieren lässt.
    
    Durch das Mittel subtiler Ironie bleiben bisweilen auch die Theaterbilder
    merkwürdig spröde, entziehen sich einer narrativen Letztgültigkeit. Das vor
    allem unterscheidet Huszank von den Salonmalern des 19. Jahrhunderts. Letztere
    haben ihre Historienbilder wie Bühnenprospekte arrangiert. Huszank, der z. B.
    Mädchenakte im Stile Ingres inszeniert, weiß um diese Tradition. Der
    zeitgenössische Maler beschreitet deshalb den umgekehrten Weg: Theater, selbst
    schon eine Kunstform, wird bei ihm noch einmal künstlerisch überformt. Dadurch
    macht er auf die verwendeten stilistischen Mittel aufmerksam. Es tritt genau
    das ein, was Brecht den Verfremdungseffekt nannte. Oder, wie wir heute sagen
    würden: Das Medium selbst wird thematisiert.
    
    Damit erfüllt Huszank wesentliche Kriterien, die man der so genannten
    Postmoderne zugeschrieben hat. Er ist eben weder ein klassischer Moderner noch
    ein Historienmaler des 19. Jahrhunderts. In einhundert Jahren wird man den
    Bildern Huszanks genau ansehen, wann sie gemalt worden sind: zu Beginn des 3.
    Jahrtausends. Nicht das “Entweder-oder” zeichnet die Malerei Huszanks aus,
    sondern das “Sowohl-als-auch“. Von beidem zeigt sich Huszank fasziniert: sowohl
    von der sachlichen Rückversicherung in der Gegenständlichkeit, als auch vom
    subjektiven Ausdruck. Deshalb kommt es in seinen Figurenbildern zu einer
    Verdinglichung der Personen und in seinen Stillleben zu einer Personalisierung
    von Gegenständen. Es bleibt eben ein Spiel zwischen Schein und Sein.
    
    Gerade weil es sich um offensichtlich abgemalte Fotografien handelt,
    demonstrieren die Theaterbilder, was die traditionelle Malerei immer noch zu
    leisten im Stande ist.  Szilards Bilder lehren uns, dass unsere Wahrnehmung
    keine feste Konstante ist, sondern unterschiedlichsten Einflüssen unterliegt.
    Diese Vielschichtigkeit ist nichts wesentlich neues und schon gar keine
    Erfindung der Postmoderne. Die Ambivalenz ist vielmehr ein Wesenszug einer nun
    schon seit einigen hundert Jahren andauernden Moderne. Und damit steht auch
    Huszank - ganz  im Sinne der Dialektik der Aufklärung - in der Tradition der
    Traditionsüberwinder.
    
    
    Vielen Dank.